Als der E-Pionier Elon Musk es den Skeptikern an der Börse zeigen wollte, da ließ er sich einen ausgebufften Scherz einfallen. Statt eines neuen Autos stellte er in den Onlineshop seines E-Autobauers Tesla kurze Hosen ein, also "Shorts". So machte sich der unkonventionelle Unternehmenslenker über die Kollaps-Spekulanten lustig, die im Englisch der Finanzprofis "Short-Verkäufer" heißen. Musks Botschaft: Die Wetten seiner Börsengegner auf fallende Tesla-Kurse würden früher oder später in die Hose gehen.
Nicht nur wegen Musk scheint Tesla zur wohl verrücktesten Aktie auf dem Globus zu werden: Seit dem Corona-Crash Mitte März haben die Tesla-Titel bereits um 255 Prozent zugelegt. Damit hat der E-Pionier in dieser Zeit neun Mal den Börsenwert des Autoherstellers Ford dazugewonnen. Anfang des Monats überholte die Firma dann am Parkett gar Toyota als weltweit größten Autokonzern an der Börse - und das, obwohl Toyota im vorigen Jahr rund elf Millionen Autos verkaufte, Tesla jedoch nur knapp 370 000. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, schossen die Tesla-Kurse vor genau einer Woche zu Handelsbeginn plötzlich um 300 Dollar in die Höhe.
Selbst Kapitalmarktstratege Olivier de Berranger vom Vermögensverwalter LFDE schüttelt angesichts der wilden Kursjagd den Kopf: "Zwar wachsen Bäume nicht in den Himmel, doch es scheint, die Elektronen hätten einen Weg gefunden." So wie er fragen sich inzwischen viele Börsenbeobachter: Fährt Tesla den etablierten Autokolossen tatsächlich davon - oder treiben bloß Spekulanten die Aktie?
Gelangweilte Privatanleger treiben den Kurs
Ein Grund für das Aufrauschen der Aktie dürften ausgerechnet junge Anleger sein, die im Corona-Lockdown gelangweilt auf dem Sofa saßen. Weil es weder Sportübertragungen noch Sportwetten gab, spekulierten sie zu Hunderttausenden an der Börse. Wie fasziniert die Privatanleger von der Autoaktie sind, zeigen Daten des Portals Robintrack: Dort lässt sich genau nachvollziehen, dass Anfang des Jahres erst 120 000 Kunden der Online-Tradingapp Robinhood Tesla-Aktien in ihren Depots hielten - inzwischen sind es bereits eine halbe Million. "Tesla ist der Liebling der Robinhood-Anleger", notiert Aktienexperte Jim Reid von der Deutschen Bank.
Um die Meinung etablierter Aktienanalysten oder Fondsmanager scheren sie sich selten, mitunter greifen sie die Meinung der Schlipsträger offen an. Doch die lassen sich nicht irritieren, im Gegenteil. Handelsalgorithmen großer Vermögensverwalter folgen inzwischen jeder kleinsten Bewegung der Privatzocker in der Robinhood-Aktienapp - und hängen sich blind an viele Trends. So läuft inzwischen wohl auch das große Geld der Wall Street den Trends unter kleinen Anlegern hinterher. Und das ist nicht das einzige Paradoxon der Märkte.
Ausgerechnet Wetten auf fallende Kurse schieben die Aktie an
Ausgerechnet Wetten auf fallende Kurse dürften derzeit die Tesla-Titel treiben. Denn wenn Händler an der Börse auf einen Kursrutsch wetten, leihen sie sich erst die entsprechende Aktie - und versprechen, sie zum Beispiel morgen zurückzugeben. Dann verkaufen sie die Aktie sofort und hoffen auf einen Kursrutsch. Kommt der, können sie die Aktie wenige Stunden später billiger einkaufen und zurückgeben - die Kursdifferenz ist ihr Gewinn.
Steigt die Aktie entgegen ihren Erwartungen jedoch, wird es für die sogenannten Shortseller teuer. Bevor der Kurs der Aktie in astronomischere Höhen steigt und ihnen Verluste einbrockt, ziehen sie bei ihren Wetten irgendwann die Reißleine: Bevor die Aktien noch weiter steigen, kaufen sie die Titel schnell ein und geben sie zurück. Genau dieses Muster belegen Zahlen des Datenanbieters S3Partners: Wetteten Spekulanten Anfang des Jahres noch mit 26 Millionen Tesla-Aktien auf den Kurskollaps, tun sie das aktuell nur noch mit rund zwölf Millionen Titeln. So führen Wetten auf fallende Kurse zu steigenden Notierungen.
Manche Experten preisen den E-Pionier
Teslas Aufstieg jedoch als reine Übertreibung der Börsen zu brandmarken, wäre wohl auch übertrieben. Denn Experten finden immer wieder auch gute Gründe für Kursavancen der Aktie: So scheinen E-Autos schlicht eine Zukunftstechnologie zu sein, Tesla arbeitet bereits an einer Millionen-Meilen-Batterie und wird von Experten oft für seine gute Autosoftware gepriesen. Manche Autoexperten meinen gar, der kalifornische E-Pionier habe inzwischen einen Forschungsvorsprung auf vielen Gebieten von etwa zwei bis drei Jahren gegenüber etablierten Autobauern. Auch wenn Kritiker anmahnen, das müsse möglichst bald in stetigere Gewinne münden.
Nun muss das Unternehmen am Mittwoch seine Zahlen für das zweite Quartal veröffentlichen, viele Experten stilisieren das zum Tag der Wahrheit für die Aktie. Manche Anleger sind guter Hoffnung, denn im zweiten Quartal hat das Unternehmen rund 90 000 Autos ausgeliefert. Von Absatzdellen wie bei den herkömmlichen Autokolossen war bei den Kaliforniern kaum etwas zu spüren. Auf der anderen Seite halten Skeptiker weiter dagegen, wetten auf einen kollabierenden Kurs.
Am Mittwoch könnte sich entscheiden, wer am Ende ohne Hosen dasteht.
July 21, 2020 at 11:56PM
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Der Elektrisierer - Süddeutsche Zeitung
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Tesla (Deutsch)
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